Johanna Wohlgemuth im Interview
2016 veröffentlichte Johanna Wohlgemuth ihr Romandebüt Frau Schnieder kehrt heim bei uns im Gorilla Verlag. Seither hat sich einiges bei der Autorin aus dem Süden getan! Hochschwanger hat sie uns ein paar Fragen zu ihrem Werdegang und zum Kugelbauch beantwortet.
Woran arbeitest Du gerade? Hast Du in letzter Zeit etwas Neues veröffentlicht?
Wenn ich schreibe, dann entweder an einer längeren Erzählung (“to the moon“) oder an meinem Romanprojekt “An der Schwelle“, das ich eigentlich dieses Jahr während eines vierwöchigen Aufenthaltstipendiums in Schweden fertigstellen wollte.
Natürlich konnte ich die Reise aufgrund der Lage nicht antreten. Tatsächlich arbeite ich aber momentan nicht viel an meinen Texten, Corona und die Schwangerschaft haben mich komplett aus meinem Alltag geworfen – und damit leider auch aus dem Schreiballtag. Was Neues veröffentlicht habe ich aber – auch wenn es nur eine Kleinigkeit ist: einen Kurzkrimi im Literarischen Krimikalender 2021 (ars vivendi verlag).
Welche Deiner Veröffentlichungen würdest Du als „Meilensteine“ Deines bisherigen Schreibens bezeichnen?
Meilensteine in chronologischer Anordnung mit Begründung:
- “Generationalität“ in der Anthologie der 2015er PULS Lesereihe (“Wir sind da”), weil es die erste echte Veröffentlichung im Rahmen eines Wettbewerbs war, auf die ich so stolz war.
- “Frau Schnieder kehrt heim” 2017, denn wie oft veröffentlicht man schon seinen ersten Roman?
- “Der Mädchenbeißer” im Tatort Franken No. 7, weil die Veröffentlichung natürlich mit dem ersten Hauptpreis bei einem Wettbewerb zusammenhing.
- “Lotta” 2017 in der Anthologie “Fallen”, weil der Text und das Buch in einem wirklich großartigem Workshop mit Katharina Hagena entstanden sind.
- “Seit du fort bist” in der Siegeranthologie des FM4 Wortlaut Preises 2019 – so ein Riesending! Und ich mag den Text auch jetzt noch.
Hat sich Deine Einstellung zum Schreiben seit der ersten Veröffentlichung verändert?
Ja, definitiv, allein schon deshalb, weil meine erste Veröffentlichung ein schreckliches Gedicht war (2002). Danach habe ich viel geschrieben, was überhaupt nichts mit mir bzw. meiner Erfahrungswelt zu tun hatte, Hauptziel war: spannende Geschichten erzählen (vor allem Fantastisches, Dystopisches). Mittlerweile möchte ich eher bewegen und auf Probleme in der Gesellschaft aufmerksam machen, und das Ganze so authentisch wie möglich – heißt, ich bringe auch immer wieder meine eigenen Erfahrungen ein.
Welchen Genres würdest Du Dein Schreiben selbst zuordnen?
Extrem schwierig. Ich rutsche oft in Entwicklungsromane ab, Coming-of-Age, und es geht sehr oft um Familie.
Welche Genres findest Du privat unterhaltsam?
Ich mag Gegenwartsliteratur. Auf ein spezielles Genre kann ich mich aber nicht festlegen.
Hast Du einen guten Rat für neue Nachwuchsautoren? Wie sollten sie vorgehen?
Das Wichtigste ist, glaube ich: lasst euch Zeit. Für jeden Text, für jede Veröffentlichung. Wenn ein Text mal gedruckt ist, kann man das nicht mehr rückgängig machen, also überlegt gut, was und wo gedruckt werden soll. Nutzt die vielen Möglichkeiten von Stipendien und Wettbewerben, scheut euch nicht davor, auch mal einen Monat irgendwo anders zu wohnen zum Schreiben, solang ihr noch jung und ungebunden seid. Was ich sagen will: hängt euch voll rein.
Autoren gesucht!
Auch dieses Jahr möchten wir euch mit einem Schreibwettbewerb zu kreativen Höchstleistungen anregen und neue interessante Kontakte knüpfen. Unseren Kurzgeschichtenwettbewerb gestalten wir dieses Mal allerdings ganz anders als sonst.
- Wir suchen Textadventures mit mindestens einer handlungsbestimmenden Entscheidung für den Leser! Zur Veranschaulichung haben wir unsere Teilnahmebedingungen gleich als interaktive Story gestaltet:
- Hier kannst Du die Teilnahmebedingungen als Twine Story herunterladen.
- Hier findest Du mehr Infos zur Ausschreibung.
News vom 19.10.2020: Wir verlängern die Bewerbungsphase! Mit freundlicher Unterstützung der IHK Ostwestfalen-Lippe suchen wir aktuell Sponsoren, um euer Talent mit Preisen belohnen zu können. Eure Texte/Twines könnt ihr natürlich weiterhin fleißig einreichen.
Walhalla brennt erscheint im November!
“Das war kein Realitätsverlust, nicht bloß romantische Träumerei. Uns war die ganze Zeit über klar, was tatsächlich geschah und damit waren wir zufrieden.”
Eine Sterbende legt Zeugnis ab: Thanalis* und ihre Gleichgesinnten haben jede gesellschaftliche Norm und Moral über den Haufen geworfen und führen ein verstecktes Leben, das bestimmt wird von Gewalt, Drogen, Grausamkeit – und Freiheit. Schreckliche Nachrichtenmeldungen lesen wir jeden Tag – warum sollte eine kleine Gruppe Gesetzesloser in dieser wahnsinnigen Welt auffallen?
*eigentlich Lisa
Die Köpfe hinter der Kunst
Robert Boehm (Jahrgang 1994) schreibt als Schriftsteller, Gamedesigner und Drehbuchautor. Er hat Medienkonzeption und Wirtschaftspsychologie studiert und entwickelt – als Gründer und Geschäftsführer der Perdix Creations UG – spielerische Bildungskonzepte für Schulen und Kinderheime. Seine Erzählung Walhalla brennt erschien erstmals in der mit dem Deutschen Phantastik Preis ausgezeichneten Anthologie Noir 1 des SadWolf Verlags in Bremen.
- Mehr zu Robert Boehm und seinem Schaffen auf axtgeschichten.com
- Zur aktuellen Facharbeit des Autors “Jenseits des Postmodernen”
Gaby Tscherne alias Raxa Lux (Jahrgang 1965) kommt aus Schwäbisch Gmünd und studierte dort Grafik-Design. Nach einigen Jahren in der Werbebranche arbeitet sie heute als freischaffende Künstlerin. Seit 2017 ist die Illustratorin jedes Jahr auf der Comic Con Stuttgart mit einem eigenem Stand vertreten.
- Zur Website der Illustratorin
- Raxa Lux bei Instagram
Nachgedruckt – Unser Sortiment ist wieder komplett!
Unsere Bestseller gehen weg wie warme Semmeln – darum haben wir Johanna Wohlgemuths “Frau Schnieder kehrt heim” und Laura Brunings “Von Göttern aus Maschinen” noch einmal nachgedruckt – und wir verbessern uns mit jeder Auflage!
Die Bücher wurden auf Recycling-Papier gedruckt und ein Teil des Erlöses geht direkt an das Laboraffen-Refugium Gut Aiderbichl in Gänsendorf bei Wien.
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Auch kleine Unternehmen können social sein!
Labortiere haben ein schweres Los gezogen. Die meisten Versuchstiere werden nach jahrelangen Misshandlungen zu weiteren Forschungszwecken getötet. Gut Aiderbichl ist einer der wenigen Vereine im deutschsprachigen Raum, die Ex-Labortieren ein sicheres und artgerechtes Zuhause bieten. In einem ehemaligen Safaripark in Gänsendorf bei Wien können (unter anderem) Ex-Laborschimpansen ihr Leben genießen – in Deutschland gibt es keine vergleichbare Auffangstation für ausgediente Laboraffen! Die Schimpansen in der Gruppe wurden als Jungtiere wild gefangen und dienten danach jahrelang als Versuchstiere für einen Pharmakonzern (der Konzern sieht inzwischen angeblich von Tierversuchen ab). Da die finanzielle Unterstützung des Konzerns für das Affenrefugium im letzten Jahr auslief, können die Pfleger jede Hilfe gebrauchen.
Wir sind so begeistert vom Affenrefugium des Gut Aiderbichl, dass wir sofort eine kleine Kooperation eingerichtet haben.
Jeder Beitrag zählt – wir unterstützen Gut Aiderbichl bei der Versorgung von Ex-Laboraffen
Mit jedem Buchkauf im Gorilla Verlag unterstützt ihr nun automatisch die Aiderbichl-Affen!
Direkt spenden könnt ihr hier.
Gorilla Verlag & Friends beim Kulturkompott Festival in Bielefeld
Die Damen und Herren von Kompott.org haben sich dieses Jahr voll ins Zeug gelegt und ein komplettes Kultur-Festival aufgezogen – und wir sind Headliner am 12. Oktober! Gleich zwei Veranstaltungen richten wir diesen Freitag in Bielefeld aus – der Eintritt ist frei!
Verlagsmedley
Indie-Literatur schießt quer
Freitag, 12. Oktober, 18:00 Uhr
Schlösschen Bielefeld
Niederwall 44a
33602 Bielefeld
Freunde guter Geschichten, Hobbyautoren und Profis kommen hier auf ihre Kosten: Wonach suchen Verlage eigentlich
und welcher Indie-Verlag passt zu mir? Wie können kleine Indie-Produzenten und kreative Köpfe sich von der Masse abheben? Diese und weitere Fragen werden auf der Bühne geklärt und mit amüsanten Goldstückchen aus der Indie-Literatur untermalt!
Es lesen:
Leinwandlesung: “Der König des Sterbens”
Freitag, 12. Oktober, 21:00 Uhr
Nr. z.P. Bielefeld
Große-Kurfürsten-Straße 81
33615 Bielefeld
Unsere Testlesung im Juli war ein voller Erfolg – darum wiederholen wir die Leinwand-Show mit Lesung, Kurzfilm und The Bellweather Firmament zur musikalischen Einstimmung am 12. Oktober für euch!
Autorin Laura Bruning (Foto) liest aus ihrem zweiten Roman Der König des Sterbens. Begleitet wird sie durch einen Animationsfilm mit Illustrationen der Künstlerin Tamara Reimer und Musik von Markus Kandzior, Björn Redecker und La Mer Étale.
Die Macht der Atmosphäre: Wie verleihe ich Texten Stimmung?
Für den Schriftsteller ist Atmosphäre ein zentraler Begriff: Schaurige Atmosphäre ist nicht das Gleiche wie melancholische Atmosphäre, was wiederum nicht mit träger Atmosphäre zu verwechseln ist. Das atmosphärische, stimmungsvolle Erzählen trennt die Narration ja auch irgendwo vom (guten) journalistischen Bericht, von Einkaufszetteln und von allem Nicht-künstlerischen.
Dass eine bestimmte Anordnung von Buchstaben überhaupt diesen wechselwirkenden Raum zwischen den Emotionen des Lesers und der Erzählung selbst schaffen kann, ist faszinierend – aber wie kann man diesen Raum gezielt erfinden? Woher wissen Autoren, welche Atmosphäre ihr Text auslösen wird und wie lässt sich dieses Wissen erlernen?
Das magische Wissen der Schriftsteller
Der Autor eines atmosphärischen Textes saß offenbar (mit teilweise großen zeitlichen Abständen zwischen Verfassen und Lesen) einmal an einer Schreibmaschine, dachte an seinen möglicherweise erst Jahrhunderte später in Erscheinung tretenden Leser, und wusste, mit welchen Worten er ihm welche Art von Atmosphäre eröffnen würde.
Gernot Böhme impliziert in seinen Erläuterungen zur Atmosphäretheorie die Annahme, ein Poet (bzw. Künstler im allgemeinen) verfüge über erlernbares Wissen bezüglich der fixen Elemente und Mittel, mithilfe derer spezifische Atmosphären erzeugt werden können. Ein Segelboot, spritzendes Wasser auf leicht bekleideten Körpern, eine Flasche Bier und lachende Jugendliche bilden beispielsweise die spezifische Atmosphäre der Becks-Werbung:
Aber was soll das für eine Atmosphäre sein, die Becks-Atmosphäre? Man könnte allgemeiner frische Atmosphäre dazu sagen, oder abenteuerliche Atmosphäre… Ist die Atmosphäre dieser Werbung nicht abhängig von dem, der sie sieht? Erotische Atmosphäre würden Zuschauer vom älteren Schlag vielleicht sagen, während der abgehärtete Internetnutzer eine junge Frau im Bikinioberteil wahrscheinlich gar nicht mehr als erotisch wahrnimmt.
Außer Segelschiffen und spritzendem Wasser gehören – wie auch immer man die Atmosphäre des Clips nun benennen möchte – wahrscheinlich auch noch mehr Elemente dazu, die in der ersten oberflächlichen Aufzählung nicht genannt wurden. Gibt es also eine bestimmte Anzahl an Elementen, die vorkommen müssen, um eine Atmosphäre frisch zu gestalten? Muss immer ein Schiff dabei sein? Das theoretisierte Einüben verschiedener Atmosphären ist anscheinend nicht die Lösung für den Schriftsteller.
Kann man künstlerisches Talent erlernen?
Wie die tatsächliche Praxis des Künstlers aussieht, veranschaulicht Laurence Sternes Tristram Shandy: Tristram bewundert das rhetorische Talent seines Vaters, „der nicht einmal die Benennungen seines Handwerks kenne, [doch] so geschickt damit zu arbeiten verstehe“. Die einfache Erklärung an dieser Stelle wäre vielleicht wirklich das Talent. Ein angeborenes, instinktives Wissen um die Wirkung bestimmter Elemente.
Eine exaktere Erklärung könnte ein anderes Modell liefern: Gottscheds Modell zur poetischen Nachahmung der Natur postuliert unter anderem, der Poet „solle schreiben, als wenn er den Affect bei sich empfände“. Die Idee vom Atmosphären-Katalog, aus dem der Autor auswählt, steht diesem deutlich einfacheren Konzept gegenüber: Ein Künstler kann sich darin üben, subjektive Erlebniswelten mitzuvollziehen. Das gilt für den Musiker wie für den Poeten, den Fotografen oder den Architekten – je besser sie sich in andere einfühlen können, desto präziser können sie Figuren, Szenerien und deren Wirkung gestalten.
Egal, wie man Atmosphäre also verstehen möchte, der Künstler kommt nicht umhin, folgende Schritte zu durchlaufen:
- Wie soll der Leser sich fühlen? Wie soll er die Szenerie wahrnehmen? Welches Gefühl möchte ich als Leser erleben?
- Was weckt in X solche Assoziationen? (X ist hier als Variable für unterschiedliche mögliche Leser zu verstehen)
- Was assoziiere ich als Leser mit der Szenerie? Wie fühlt sich jemand, der das liest? Wie würde ich die Szenerie wahrnehmen, wenn ein Element verändert würde? usw.
Obwohl der Gedanke an atmosphärische Elemente, deren Hinzufügen oder Entfernen aus einem Werk die Atmosphäre eindeutig verändert, also hilfreich ist, ist das Wissen um dieses Handwerk in der Praxis nicht besonders nützlich (wie für Tristram Shandys Vater). Nützlicher scheint es, sich selbst und andere genau zu beobachten und eine Sensibilität für das Verhältnis zwischen Umwelt und Individuum zu entwickeln.
Artikel:
- Auflistung von Games mit besonderer Atmosphäre
- „How can I improve my Introspection Skills“
- Effektives Zuhören
Weitere Links:
- Atmosphärische Elemente im Film (YouTube)
- John Lockes Essay Concerning Human Understanding
- Gottscheds Versuch einer critischen Dichtkunst
- Vorlesung von Böhme über die Atmosphäre
- Laurence Sternes Tristram Shandy (komplette Onlineausgabe)
Der Gorilla Verlag bittet zu Tisch
Lesung mit Snacks
Do, 6. September -19:30 Uhr
Dante’s Restaurant & Bar
Bahnhofstr. 5 | Halle Westf.
Eintritt 2,00 € (=Gutschein für Bücher, Poster und CDs)
- Zur Facebook-Veranstaltung
- Mehr über “Abwegich” und Andreas Witte
- Mehr über “Alles hätte so schön sein können” und Annika Kamczyk
Kleine wie große Publikationen und Blogs vermitteln regelmäßig den Eindruck, dass kaum noch jemand Lust auf Lesen hat. Angeblich sei auch die Zeit des großen Ausgehens vorbei – man hat es heutzutage lieber bequem. Schlechte Voraussetzungen also für einen Gorilla in Erlebelaune? Keinesfalls! Wir kombinieren Kultur und Köstlichkeiten und machen es unseren Gästen im Haller Herz so richtig bequem.
Kultur trifft auf Foodkunst
Zwei eigens anreisende Autoren stellen am 6. September ihre jüngsten Veröffentlichungen im Gorilla Verlag vor – natürlich in gewohnt bittersüßer Manier. Durch den Abend führt der Bielefelder Singer-Songwriter Ganguin. Für das leibliche Wohl sorgt Dante`s Restaurant & Bar an diesem Abend mit Klassikern der mediterranen Küche und Tapas. Folgende Kurzgeschichten stehen im Menü:
(aus „AbwegIch“, 2016) Dago und seine Freunde haben ein schräges Hobby – an ihren „Danger Food“ Wochen-enden vergiften sie sich regelmäßig selbst. Zwischen Muskatnuss, Bittermandel und Tintenfisch verliert er jedoch etwas Wichtiges aus den Augen. |
(aus „Alles hätte so schön sein können“, 2018) Das lückenlos vernünftige Programm Racia bestimmt das Leben der Menschen in der futuristischen Kurzgeschichte. Der Zweck heiligt schließlich alle Mittel – oder? |
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Wer ein wenig Kultur unter Leuten genießen möchte, ohne dabei auf einen gemütlichen Sitzplatz und leckere Snacks verzichten zu müssen, merkt sich den Termin im Dante`s vor!
Warum lesen wir tragische Geschichten?
Im Gorilla Verlag haben wir uns der unbequemen Literatur verschrieben – „Feel Bad“ Literatur nennt der Filmtheoretiker Mark Wachholz dieses Gegenmodell zur erheiternden Fiktion. Wir erinnern uns offensichtlich gut und gern an belastende Geschichten, nehmen tragische Elemente als unterhaltsame wie einschlägige Erlebnisse innerhalb unserer Vorstellungswelt wahr – aber warum eigentlich?
Othello‘s Desdemona wie auch dem armen Pferd Artax in Michael Endes Die Unendliche Geschichte haben wir ja irgendwie auch gern beim Untergehen zugesehen. Es war schön, diese treuen Figuren leiden zu sehen; ein Eindruck, der bei vielen bis heute einschlägig bleibt. Als Autor einer solchen Narration gilt es nach Aristoteles’ Poetik, genau dies zu erreichen und die Erzählung so zu gestalten, dass „jemand, der nur hört […], wie die Geschehnisse sich vollziehen, bei den Vorfällen Schaudern und Jammer empfindet“. Und wie? Eine von vielen möglichen Herangehensweisen wird nun kurz erläutert.
Dem Leser schön die Suppe versalzen
Die wichtigsten Begriffe im Zusammenhang mit dieser oberflächlich betrachtet makaber wirkenden Form der Unterhaltung (- war es denn wirklich schön, wie Artax ertrank? -) prägte Aristoteles. Schaudern und Jammer (eleos und phobos) innerhalb des sicheren Rahmens der eigenen Vorstellung und des Erdachten zu durchleben, bietet seiner Idee von Katharsis zufolge „Reinigung für die Seele“ – baut also psychische Spannung ab, um es etwas zeitgemäßer auszudrücken. Das Durchleben von Angst und Mitleid auf dieser fiktionalen Ebene macht es dem Rezipienten einfacher, entsprechende Emotionen auch in der Realität zu verarbeiten. Eine ganz ähnliche Funktion wird übrigens auch Träumen, besonders Alpträumen, zugeschrieben.
Anscheinend reicht es aber nicht, einfach ein furchtbares (mögliches) Vorkommnis zu beschreiben, einer rechtschaffenden Figur also etwas Grauenhaftes widerfahren zu lassen – im Horror-Filmgenre hat sich diesbezüglich ein gewisser Trend abseits des Tragischen generiert, man darf sich aber gern auch mehr zutrauen und abgesehen von einer Abscheu hervorrufenden Inszenierung etwas mehr Handlung bieten.
Tragik ohne Kitsch
Als “beste” Form der Tragödie gelten Geschichten, in denen eine Figur einem eigentlich Nahestenenden Leid antut, oft motiviert durch ein Missverständnis oder eine Täuschung. Die Figur erlangt erst Einsicht, nachdem sie die Tat ausgeführt hat. So hat die Tat nichts Abscheuliches an sich, ruft aber dennoch Erschütterung hervor.
Einige Spielarten dieser grundsätzlichen Idee kennen wir:
- Shakespeares Tragödien kommen dem klassischen Muster der Antike besonders nahe: So tötet zum Beispiel Shakespeares Othello, überzeugt von Desdemonas Untreue, zuerst sie und später, als er seinen Irrtum und ihre Unschuld erkennt, sich selbst.
- Gleich zu Beginn in Gaspar Noés Irréversible wird einem Unbeteiligten der Kopf eingeschlagen, wobei der Irrtum sich nicht aufklärt, was dem Rezipienten wegen des fehlenden Erkenntnis-Moments zusätzlich bitter aufstößt.
- Artax ertrinkt in den Sümpfen der Traurigkeit, nachdem der tollkühne Atreyu unüberlegt handelt (Atreyu bedenkt nicht, dass Artax dem Druck nicht standhalten könnte). Atreyus Erkenntnis kommt zu spät, wird aber über den relativ lang erzählten Sterbensprozess des Freundes hinweg fokussiert. Die Inszenierung unterstreicht in diesem Fall die Tragik von Atreyus fatalem Fehler.
Dem Leser kann und soll also richtig schön die Suppe versalzen werden – sofern dabei auf strukturaler Ebene zwischen Horror und Tragik unterschieden wird. Gerade in modernen Narrationen werden dabei die Grenzen dessen ausgetestet, was ein Rezipient ertragen und erfassen kann, was die entsetzten Reaktionen auf Noés Werk in Cannes anschaulich zeigen.
Hilfreiche Literatur und Links zum Thema:
Einer fehlt!
Die Nachricht über den Tod des Chemnitzer Künstlers Themos Josaphat Käßler erschüttert unser Team schwer. Der begnadete Zeichner unterstützte uns mit zahlreichen Illustrationen, unter anderem für den Sammelband Abwegich. Nach wochenlanger Suche kam Anfang der Woche die traurige Gewissheit über den Tod des 25-jährigen. Seine Schwester und Verlagsmitarbeiterin B. Käßler verwaltet seinen künstlerischen Nachlass, dem wir |
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